Eine Kneipe, mitten auf dem Hamburger Kiez. Für viele das letzte Zuhause, das sie noch haben. Eine Familie, bekannte Gesichter. Und rund um die Uhr Flüssignahrung, die den Schmerz betäubt. Die letzte Zuflucht im Goldenen Handschuh. Heinz Strunk ist mit seinem neuen Buch ein Milieuporträt gelungen, das tief in menschliche Abgründe blickt, viel tiefer als manch einem lieb sein könnte.
Die Figuren heißen wohlklingend Leiche, Soldaten-Norbert oder der Schiefe und verbringen die meiste Zeit in ebenjener Kneipe – Der goldene Handschuh – die der zentrale Schauplatz in Strunks Roman ist. Hier vegetieren sie vor sich hin, werden hin und wieder gewendet und motzen sich gegenseitig an. Eine Hemmschwelle gibt es schon lange nicht mehr. Die Seiten strotzen vor expliziten Beschreibungen über Urin und Hautfäule. Aber so ist das eben in einer versifften Kiez-Kneipe und der Leser wird vollständig in diesen Mikrokosmos eingeladen. Und mittendrin Fritz Honka, der sich in den 1970ern seine Zeit mit Morden vertreibt. Vorwiegend Frauen, die keiner vermissen würde. Die unterste Kaste unter den armen Tropfen. Wir folgen Honka, wie er zwischen dem Handschuh und seiner Bruchbude hin und herpendelt, auf der Arbeit immer wieder versagt und zwischendurch unappetitliche Dinge mit seinen betagten Opfern und gefrorenen Würstchen anstellt. Kontrastiert wird diese „unterste Unterschicht“, so der Klappentext, mit der Nebenhandlung rund um die Familie von Dohren, ein Investorendynastie von „der richtigen Seite der Elbchaussee“, die feierlich den Ehrentag des Familienoberhaupts Wilhelm Heinrich I. begehn will, der wiederum seine Mitmenschen abgrundtief hasst. Sein Enkel Wilhelm Heinrich III., ein Nichtsnutz und pubertäre Pickelblüte, macht erste Gehversuche in Richtung des weiblichen Geschlechts und seine Eltern sind damit beschäftigt, den anderen mit Affären und Untreue zu beschuldigen. Eine ganz normale, wohlhabende Familie eben.
Strunk ist mit Der goldene Handschuh ein mitreißender Roman aus dem tiefsten Sumpf des Milieus gelungen, der bisweilen groteske Szenen zeichnet, damit aber auch immer authentisch bleibt. Authentische Dialoge im tiefsten St. Pauli-Dialekt treffen auf die Schickeria von der anderen Elbseite und nehmen den Leser direkt in ihre Mitte. In deutlichen Worten zeichnet er das Bild einer Gesellschaft, die sich schon vorgestern aufgegeben hat. Und wer sich dann noch für Serienmörder wie Fritz Honka interessiert, ist mit diesem Buch sehr gut bedient.
Heinz Strunk ist den meisten wahrscheinlich von der Kultband Fraktus bekannt, mit denen er zum „Comeback“ 2012 durch ganz Deutschland getourt ist. Der goldene Handschuh wurde für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und wurde 2016 mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet.
Mehr Infos zu Heinz Strunk gibt’s hier und das Buch gibt’s hier.
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