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[Literaturtipp] Verstreute Gedichte, Pt. I

Die Verstreuten Gedichte des gONZo-Verlags sind kleine Schätze der Gattung Lyrik und verheißen ein jedes aufs Neue Beobachtungen, Gedanken und Splitter aus dem Leben der Poeten. Auf minimaler Seitenzahl gibt es maximales Gefühl und so kann man mit kurzen Texten viel Zeit verbringen. Als ich Ende November zur Büchermesse ins Rathaus ging, ahnte ich noch nicht, dass ich mit einem Stapel frischer Lyrik wieder hinausgehen würde (vielen Dank dafür 🙂 ). Und weil man sich in der Weihnachtszeit so gut entspannen und besinnen kann, gibt’s hier eine Rezension von Verstreuten Gedichten in zwei Teilen.

Der erste Teil soll sich mit Irische Couplets von Enno Stahl, Untote auf der Stör von Florian Vetsch und Bevor du mich schön trinkst: Zeitgemäße Tresenlieder von Kersten Flenter befassen. Auf den ersten Blick haben die drei Bändchen nicht viel gemeinsam, doch lassen sie sich bei genauerem Hinlesen vortrefflich bei einem feuchtfröhlichen Barabend zum Besten geben.

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Allen voran Enno Stahls Reise auf die kleeblattgrünen Inseln. In Irische Couplets gibt es Gedichte über den ersten Schluck an einem Stout, Verse ganz in Gaelic und einen Text nur über das Grün. Man fühlt sich direkt eingeladen, sich mit an den Tresen zu setzen und den Gedichten zu lauschen, wenn Stahl beginnt mit „Music from Dingle“. Es geht um Guinnes, zu viel, den Ellipsen und Inversionen nach zu urteilen und das Gefühl des stürmischen Selbst. „Bei Murphy’s“ spinnt er dieses Motiv weiter und verortet das lyrische Ich in dieser einen Bar, an diesem einen Abend, der „wie das leben war“. Stahl schließt seinen Gedichtband mit einem Gedankenstück über die irische Identität und Wahrnehmung. Irische Couplets sind ehrlich, nachdenklich und unterhaltsam, eben wie ein Absacker im Irish Pub. Bemerkenswert ist allerdings, dass in Enno Stahls Biografie keinerlei Lebensbezug zur irischen Kultur zu entdecken ist. Muss ja aber auch nicht, vortrefflich recherchiert hat er jedenfalls, wenn er sich zum Stout bekennt:

„dies ist
eher mahlzeit
denn getränk.“

(Verstreute Gedichte VI: Irische Couplets von Enno Stahl gibt es hier).

Untote auf der Stör von Florian Vetsch schlägt in eine andere Kerbe, eignet sich dennoch perfekt als vorgetragene Abendunterhaltung. Schon gleich zu Beginn spürt man deutlich den Einfluss der Beats, geht es doch um „Die totel Dichter“, die an die Tür klopfen und den Schlaf des lyrischen Ichs stören. Ein andermal gibt es mit „Nachricht von Ira Cohens Bestattung“ ein dreiversiges Requiem auf den Poeten und dann wird Alfons Karl Zwicker noch mit „Sie ziegte mir ihre Brüste!“ ein Denkmal zum 60. Geburtstag gesetzt. Vetschs Gedichtsammlung ist geprägt von und gewidmet den Künstlern seines Lebens und verlässt dabei zu keiner Zeit die politische Ebene. Immer schwingen sie mit: Kritik, Ironie und der Bezug zum Tod. Und wenn eine Botschaft Vetschs hier stehen soll, dann wär das wohl:

„Das Bild
Ist
Noch nicht fertig“

(Verstreute Gedichte VIII: Untote auf der Stör von Florian Vetsch gibt es hier).

Den letzten Beitrag in diesem lyrischen Empfehlungsschreiben liefert Kersten Flenter mit Bevor Du mich schön trinkst: Zeitgemäße Tresenlieder. Schon das titelgebende Gedicht bietet den perfekten Einstieg in eine Reihe zeitgemäßer Tresenlieder, geht es doch um ein Paar, ein Mensch und noch ein Mensch, die sich auf einem Barhocker kennenlernen und das Leben zusammen weiterspinnen. Oder auch nicht, „[b]evor Du mich schön trinkst.“ An anderer Stelle geht es um die Rastlosigkeit im eigenen Kopf, um Fantasie und eine treibende Kraft, die „Immer unterwegs“ ist. Und „Freitags in der Uschibar“ zehrt auch vom Inhalt seines Titels, indem es wortgewaltig die ganz kleinen Momente der schummrigen Kneipenatmosphäre beleuchtet. Flenters Gedichte sind formal gesehen klassisch, altmodisch, manchmal sogar reimend. Seine Themen und Motive sind es nicht und zeugen von Nächten und Sehnsüchten, Abstürzen und Ausflüchten und bilden damit den krassen Kontrast zu Kreuzreim und Versmaß. Und den passenden Slogan für alle Identitätssuchenden liefert er auch noch nebenbei:

„Hier ist mein Perso, sag mir wer ich bin“

(Verstreute Gedichte III: Bevor Du mich schön trinkst: Zeitgemäße Tresenlieder von Kersten Flenter gibt es hier).

Der Rezension zweiter Teil erscheint dann am Donnerstag (22.12.), pünktlich zur Lesung von Tine Maier (Hellschwarzseher) in der Walpodenakademie.

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