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Blätterrascheln mit Annika Kemmeter

Annika Kemmeter wurde 1985 in Mainz geboren, ist Mitglied in der Prosathek und hat im März 2020 ihren ersten Roman „Die letzte Flaschenpost“ veröffentlicht. Wagemutig willigte sie ein, der erste Gast bei Letterwalds BLÄTTERRASCHELN zu sein: Auf Instagram haben wir uns zu einem virtuellen Tee getroffen und ein Live-Interview geführt, im Folgenden gibt’s das Gespräch zum Nachlesen:

Letterwald: Hallo liebe Annika, total schön, dass das geklappt hat! Wir haben uns hier zum Tee verabredet, welche Sorte trinkst du?
Annika Kemmeter: Lady Grey ist das hier. Und du?

Ich trinke Zitronenmelisse von der Oma aus dem Garten… Schön, dass du da bist! Erst einmal will ich darüber sprechen, wie du als Autorin bist, wie du arbeitest, was du machst – ich unterstell dir jetzt einfach mal, dass du als Kind viel gelesen hast, liege ich da richtig?
Ja natürlich, und das ist auch immer noch so!

Weißt du noch, was dein Lieblingsbuch als Kind war?
Ich erinnere mich, dass ich einmal mit ungefähr elf Jahren einer Freundin von mir ein Buch weitergeschenkt habe, dass ich toll fand. Das hieß „Charlotte Shakespeare“ von Barbara Ware Holmes. Von der Autorin habe ich nie wieder was gehört, aber das Buch fand ich super cool (lacht).

Das ist ja ein gutes Zeichen, wenn einem das Buch so gut gefällt, dass man es in die Welt hinaussenden möchte. Hast du dann auch gleich angefangen zu schreiben oder wie kam der Wunsch in dir auf, Autorin zu werden?
Meinen ersten Text habe ich mit sieben oder acht geschrieben und zwar war das auf einem weißen Blatt ohne Linien, ich hatte einen roten Kuli und die Zeilen gingen so (lacht, zeigt parabelartig steil nach oben). Vor allem wollte ich Kinderbücher schreiben, weil ich das toll fand, dass es Autoren gibt, die so toll in die Welt der Kinder eintauchen können.

Deine Geschichte, die so nach oben geht (zeigt parabelartig steil nach oben) erinnert mich auch total an Lewis Carroll und seine Formgedichte, die dann auch noch eine optische Präsenz haben.
(lacht) Aber bei ihm hat diese Form auch einen Sinn…

Den Sinn würde ich dir aber auch unterstellen. Weißt du noch, worum es in der Geschichte ging?
Um einen sogenannten ‚Gedi‘, einen Gedanken, der sich vor die Augen oder an die Ohren gesetzt hat. Dann hat er beschlossen selbst aktiv zu werden und dem Gehirn gesagt, dass die Hände mal die Flöte holen und üben sollen.

(lacht) Arbeitest du noch an der Veröffentlichung oder soll die Geschichte in der Schulblade bleiben?
(lacht) Nein nein, die bleibt in der Schublade und ist auch glaube ich noch bei meiner Mutter. Ich musste auch immer Gedichte schreiben zu den Geburtstagen von allen Verwandten.

Das ist aber ein gutes Stichwort, weil man das ja auch auf deiner Website lesen kann. Außerdem steht da nämlich, dass du „auf alle Wörter außer Hanf und Senf reine Reime in Rekordzeit“ findest. Das ist ja schon eine ziemlich kühne Behauptung.
Oh Gott! (schlägt Hände vors Gesicht)

Ich habe gedacht, dass wir das mal probieren und habe drei Begriffe vorbereitet. Einfach der erste Reim, der dir in den Kopf kommt. Der erste Begriff ist ‚Tischdecke‘.
Fischhecke.

Der zweite Begriff ist ‚Sonnenschein‘.
Hm, schwer. Wonnenrein? Das müsste man in einen Satz einbauen.

Der letzte Begriff ist ‚Kochtopf‘.
‚Koch‘ ist schwer… Kropf, Stopf oder Loch, das macht aber keinen Sinn, da müsste man ein bisschen Kontext drumherum basteln (lacht).

Wie ist das wenn du selbst schreibst, wie sieht zum Beispiel dein Schreibtisch aus?
Mein Schreibtisch ist vollgestopft mit Steuersachen, Gemälden von meinen Kindern und irgendwelchen Büchern und eigentlich habe ich gar keinen Platz mehr, darauf schreiben. Deshalb ich bin ich auf den Esstisch ausgewichen, was den Vorteil hat, dass ich da alles wieder ordentlich wegräumen muss, denn eigentlich bin ich ziemlich chaotisch.

Schreibst du erst auf Papier oder direkt am PC?
Mittlerweile hauptsächlich auf dem Computer. Ich habe früher viel auf Papier geschrieben, vor allem wenn ich unterwegs war oder jetzt noch bei Recherchen. Zuhause aber eigentlich direkt am Computer.

Hast du eine Schreibroutine?
Vor Corona war das so, dass erst die Kinder in Schule und Kindergarten gebracht wurden und dann hatte ich nur Zeit bis um 12 Uhr, die versuchte ich aber zu nutzen. Als ich den Roman geschrieben habe, habe ich immer das zuletzt geschrieben Kapitel nochmal korrigiert und war dann wieder richtig in der Geschichte drin.

Also schreibst du linear, du springst nicht zwischen den Kapiteln?
Normalerweise schon. Ich finde das total faszinierend, wenn Leute springen können.

Ich habe auch gelesen, dass du in Deutschland, Frankreich und Japan Literatur studiert hast. Hast du da Unterschiede bemerkt, wie man jeweils über Texte nachdenkt und spricht?
Total, das war sehr faszinierend! An der LMU (Ludwig-Maximilians-Universität München) lernt man als Student zu argumentieren und Thesen zu formulieren. An der Sorbonne war ich extrem enttäuscht. Da hatte ich Vorlesungen, bei denen der Professor vorne stand und den Text Wort für Wort diktiert hat und man musste dann genau das wiedergeben. Deshalb war ich dann auch nicht mehr so oft in der Uni in Paris (lacht). Und in Japan war das nochmal ganz anders. Da hatte ich einen internationalen Studiengang und konnte mit Lehrern und Studenten aus aller Welt über japanische Themen lernen. Daraus ist dann meine Magisterarbeit über die japanische Postmoderne entstanden.

Du kannst Japanisch?
Ja, ein bisschen noch.

Wow, da bin ich großer Fan von! Ich würde das Interview jetzt gerne auf Japanisch weiterführen, aber das ist mir zumindest leider nicht möglich. Deshalb sprechen wir doch lieber über die Prosathek. Was hat es denn damit auf sich?
Wir waren zehn Leute an der LMU und wollten eine Autorengruppe gründen, die sich unterstützt und zum Schreiben antreibt. Jeden Freitag stellen wir Prosa zur Verfügung, da kommt immer ein nigelnagelneuer Text auf unseren Blog.

Ihr seid aber eine geschlossene Gruppe?
Genau, unsere Gruppe ist nicht öffentlich. Aber berufsbedingt haben wir jetzt zwei Ausfälle, hätten also noch zwei freie Plätze (zwinkert). Manchmal haben wir auch Gastautoren, man kann sich gern bei uns melden.

Wie muss man sich den Prozess des Schreibens bei der Prosathek vorstellen?
Wir treffen uns vier Mal im Jahr und da machen wir dann Schreibspiele und -übungen, besprechen Organisatorisches, machen Veranstaltungen und bringen Anthologien heraus. Aber eigentlich ist unsere Arbeit so, dass es einen internen Blog gibt, da stellt man seinen Text hoch. Jeder hat dann seine Textpaten und man beschäftigt sich intensiv mit dem Geschriebenen. Bei Klischees zum Beispiel sind wir streng, nichtsdestotrotz hat jeder seinen eigenen Stil und den wollen wir natürlich bewahren, wir feilen eher an den Texten. Wir sind schon sehr kritisch, aber es macht auch total viel Spaß! Bei uns steht der Leser im Vordergrund und wir wollen mit unseren Texten etwas bewirken und es ist immer toll, wenn man eine Emotion herauskitzeln kann nur mit schwarzer Tinte auf weißem Blatt sozusagen.

Und dann ist der Diederichs Verlag aus der Gruppe Random House auf euch aufmerksam geworden. Würdest du das als glücklichen Zufall beschreiben oder hart erarbeitet?
Wir hätten keine Lesungen und keine vielen Zuschauer gehabt, wenn wir nicht hart arbeiten würden. Das ist auch der Tipp vielleicht für alle angehenden Autoren: Man muss einfach dranbleiben. Und dann hatten wir gerade diese eine Lesung so schlecht angekündigt, noch nicht mal im Flyer des Veranstaltungsortes standen wir. Wir wollten sogar Leute draußen ansprechen, ob sie nicht kommen möchten (lacht). Und bei der Lesung war dann die Programmleitung vom Diederichs Verlag im Publikum, die über das Internet auf uns aufmerksam geworden ist und auf der Suche war nach neuen jungen Talenten. Das war ein riesiges Glück!

Der Besuch der Programmleitung war aber nicht angekündigt, ihr wusstet das nicht vorher?
Zum Glück nicht!

Im März 2020 wurde dein Debütroman „Die letzte Flaschenpost“ veröffentlicht, herzlichen Glückwunsch! Wie lange hat es gedauert vom ersten Manuskript bis zum fertigen Buch?
Ein Jahr hat das gedauert, von September bis September saß ich am Text. Ich bin eher ein schneller Schreiber, für mich war der Spannungsbogen super wichtig und, dass die Charaktere stimmen.

Wenn es jetzt gerade um die Figuren geht: Hast du da konkrete Vorbilder oder entspringen die Figuren komplett deiner Phantasie?
Im Roman sind alle Figuren komplett ausgedacht. Ich habe natürlich viel recherchiert und Interviews geführt, um zu schauen wie sich manche Leute verhalten und wie sie reagieren könnten.

Dein Buch ist Mystery, Romantik und sogar Roadtrip in einem. Bist du zur Recherche auch den Rhein entlanggefahren wie deine Hauptfiguren?
Ja, ich habe den Roadtrip selbst gemacht, ich musste unbedingt vor Ort sein! Ich habe die ganze Familie eingepackt und habe Leute in Cafés gefragt, wo denn zum Beispiel an diesem einen Ort der Weihnachtsmarkt ist, und ich habe viele Fotos gemacht. Das war richtige journalistische Arbeit.

Eine Abschlussfrage habe ich noch: Wenn du eine Flaschenpost verschicken würdest – was würde da drinstehen und wer, hoffst du, würde diese Flaschenpost dann finden?
In meinem Roman werden Bocksbeutel (fränkische Flaschenart) verschickt und die gibt es in Mainz leider nicht, deshalb habe ich mir zwei Flaschen bestellt. Wenn die ausgetrunken sind, dann werde ich ein Originalgedicht von meinem Dichter aus dem Roman, Otto Maaßen, damit in den Rhein werfen. Diese Gedichte werden dann aus der Literatur quasi in die Realität katapultiert. Ich hoffe natürlich, dass sie jemand findet, der dann etwas mit Lyrik anfangen kann (lacht).

 

Die Veröffentlichungslesung von „Die letzte Flaschenpost“ findet am 3. Juni auf dem Kanal der Buchhandlung Nimmerland statt. Mitte Juni wird Annika Kemmeter ihren Roman bei „die Leselampe – eine Lesebühne in Mainz“ vorstellen.

Interview und Transkript: Sarah Beicht
Autorenfoto Annika Kemmeter: Isabel Brühl

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