Jeder kennt es, das grüne Monster mit den lockeren Schrauben. Doch kaum einer weiß, dass es auf seinem Wut-Marsch auch durch unsere schöne Stadt stolpert.
Es ist die alte Geschichte: Mann langweilt sich, man spielt ein bisschen mit dem Physikbaukasten und Puff! ist man auf der Flucht vor einem aus Leichenteilen bestehenden, mordenden Monster. So weit, so bekannt. Aber Mary Shelleys romantischer Roman ist weit mehr als das. In der Tat erweist sich Frankenstein als philosophische Studie, die in den Tiefen der Gesellschaft nach Identität und Sprachentwicklung gräbt.
Das Monster, das nicht näher benamst wird – Frankenstein heißt nur sein Erschaffer –, irrt gottlos und -verlassen aus dem Labor und begibt sich auf die Suche nach Freundschaft und Zuneigung. Es zieht von Dorf zu Dorf und richtet durch grobmotorisches Unvermögen nur Chaos an, wohin es auch kommt. Völlig unverstanden wird es mit Fackeln und Mistgabeln davongejagt und lebt schließlich ein einsames Leben mitten im Wald. Dort findet es einen Koffer voller Bücher und wird schließlich gebildeter als alle anderen Figuren des Romans. Und wesentlich eloquenter als sein Erschaffer Viktor. Im hinteren Drittel seiner Erzählungen erreicht es endlich das Spiegelstadium, befindet sich für hässlich und unliebenswürdig und verlangt von Viktor, ihm eine Braut zu erschaffen. Dieser jedoch weigert sich und zerstört die angefangene Monsterin sogleich wieder. Fortan sieht er sich auf ewig verfolgt von seinem eigenen Erzeugnis.
Kommen wir nun zu Daseinsberechtigung auf diesem Blog, denn tatsächlich führt der Weg Viktors über Berge, Täler und reißende Flüsse bis schließlich ins schöne Mainz:
„We had agreed to descend the Rhine in a boat from Strasburgh to Rotterdam, whence we might take shipping for London. During this voyage, we passed many willowy islands, and saw several beautiful towns. We stayed a day at Manheim, and, on the fifth from our departure from Strasburgh arrived at Mayence. The course of the Rhine below Mayence becomes much more picturesque. The river descends rapidly, and winds between hills, not high, but steep, and of beautiful forms.” (Shelley 238) {1]
Nun wird Mainz nur zwei klägliche Male erwähnt, aber trotzdem wird auf die Schönheit und Idylle des Rheins hingewiesen und es wäre sogar möglich, Frankensteins Route eins zu eins nachzufahren.
Zugegeben, die Handlungsebenen von Frankenstein sind bisweilen sperrig, nicht leicht zu durchschauen, nichtsdestotrotz lohnt sich der Griff zu dem Klassiker. Die Grundzüge des Romans sind gemeinhin bekannt, doch kaum einer kennt die ganze Geschichte. Nach kurzer Zeit beginnt man, Sympathie für das Monster zu entwickeln, denn im Grunde sucht es nur nach Liebe und Freundschaft. Viktor hingegen kommt daher wie ein verwöhnter Elitestudent, der Gefallen darin findet, Gott zu spielen. Gerade wenn es in den nächsten Tagen wieder stürmt und blitzt draußen, kann man Frankenstein getrost zur Hand nehmen und sich begruseln lassen, in Viktor Frankensteins Labor in Ingolstadt.
[1] Shelley, Mary. Frankenstein, or the Modern Prometheus. Stuttgart: Reclam Verlag, 2013.