„Ich trage nicht mein Kreuz. Es ist mein Kreuz, das mich trägt.“ Jule Weber deutet ein Kreuzzeichen an, linke Schulter, rechte Schulter und stoppt unter dem Kinn. Es ist ihr Kreuz, das sie trägt. Einen aufrechten Menschen alleine auf einer Bühne, vor sich ein Mikrofon. Mit den Händen sprechend, mit den Lippen lächelnd und in ihrem Kopf tausend Gedanken und Geschichten, die sie eigentlich nur diesem Mikrofon erzählt. Leise, auch mal laut. Jule Weber ist 23 Jahre alt und gewann mit diesem Auftritt vor gut zwei Wochen die rheinland-pfälzische Meisterschaft im Poetry Slam und konnte sich damit auch für den Bundeswettbewerb im oktoberlichen Hannover qualifizieren. „Das ist ein total gutes Gefühl, ich hab mich total gefreut“, sagt sie über ihren ersten großen Erfolg in der „Erwachsenenliga“. Im Jugendbereich hatte die gebürtige Bensheimerin schon so gut wie alles abgeräumt. Angefangen im Jahr 2009, als sie einen Poetry Slam-Workshop besuchte und auch gleich den Abschlussslam gewann. Seitdem ist sie auf Bühnen im ganzen deutschsprachigen Raum unterwegs und wurde 2012 zur hessischen sowie nationalen U20-Meisterin gekürt.
Der Reiz des Slams
Für Jule Weber ist Poetry Slam Ventil und Chance, sich immer wieder neu auszudrücken. Was in einer Stadt gut ankomme, könne in der nächsten schon wieder in der Vorrunde ausscheiden. Sogar die Startreihenfolge sei ein entscheidender Faktor, wenn es um Sieg oder Niederlage gehe. „Aber der Wettbewerb ist eben nicht das Ding dabei“, sagt Jule. „Es gibt keinen Gewinndrang unter uns und innerhalb der Szene bekommt man da auch keinen Applaus für, wenn man rumprahlt.“ Und das merkt man auch, nicht nur bei Jule, auch bei den anderen Startern des rheinland-pfälzischen Entscheids macht sich eine sympathische Unaufgeregtheit bemerkbar. Slammer eben. Doch nur von ersten Plätzen und Applaus kann man ja nicht leben. Jule Weber gibt Workshops oder verfasst Auftragstexte, so wie auch ihr Gewinnerstück über Kirche und Selbstoptimierung zum Reformationsjubiläum in diesem Jahr.
Die Stille vor dem Text
Geschrieben hat Jule Weber immer schon, viel. Den ersten Slam erlebte sie als Zuschauerin und war sofort begeistert von dem kraftvollen künstlerischen Ausdruck auf der Bühne. „Ich dachte immer, man muss ein Buch schreiben, um sich Autor nennen zu können. Aber der Slam bietet jungen Autoren wortwörtlich eine Plattform.“ Trotz ihrer Leidenschaft und Erfahrung vor dem Mikrofon, hat sie feste Rituale vor jedem Auftritt. Sie lernt alle ihre Texte auswendig, ein Blatt vor der Nase mache sie eher nervös, sagt sie. Backstage geht sie den Text durch, wieder und wieder, dann ein schneller äußerlicher Check. Kurze Aufregung, dann Fokus. Ruhe. Auf der Bühne ist sie dann im Modus, erzählt ihre Geschichte, lebt sie und stolpert nicht ein einziges Mal dabei. Dabei dürfe aber nicht vergessen werden, dass auch immer ein lyrisches Ich mitschwingt, es nie ganz sie selbst ist, die sich da emotional entkleidet, sich eine neue Haut bestellt und sagt: „Ich glaube an meinen Namen, meine Hoffnung, meine Treue, meine Stärke, mein Licht. Und jeden Tag neu verzeihe ich mich.“
Vielen Dank an Jule Weber für das nette Interview und weiterhin viel Erfolg auf den Bühnen dieses Landes 🙂 Sämtliche Fotos sowie das Titelbild sind von Fotograf Marvin Ruppert, vielen Dank an den Poetry Slam Mainz für die Genehmigung!