Es ist ein wunderbarer und standesgemäßer Rahmen, in dem Silke Müller vortragen darf. Inmitten der Künstler des neunzehnten Jahrhunderts, gerahmt von Jugendstilfenstern und bewacht von einem goldenen Pferd findet am Dienstagabend die Veranstaltung „Da möchte ich mal reinschauen… – Illustratorinnen der Büchergilde auf der Spur“ im Landesmuseum Mainz statt. Es geht um Bücher. Um schöne Bücher und um die Künstler, die sie zum Leben erwecken.
In der Satzung der Büchergilde steht, dass sie Bücher von „gutem Geist und schöner Gestalt“ herstellen wollen und betrachtet man sich einige Werke aus dem Katalog, so kommt man so langsam hinter die Bedeutung. Da gibt es Ölgemälde, kostenintensiv eingescannt, wie die, die die Werke Elena Ferrantes zieren, Zigarettenpapierimitate als Vorsatzpapier von Raymond Chandlers „Der große Schlaf“ oder ein Buch gebunden in bedruckter Fallschirmseide, da in Mortimer & Miss Molly ein Soldat mit einem Fallschirm direkt in das Leben der Protagonisten fällt. „So greifen Form und Inhalt bei der Büchergilde perfekt zusammen“, sagt Silke Müller und hält zum Vergleich die Ausgaben des Originalverlags daneben. Auch hier sind natürlich wohl durchdachte und komponierte Cover dabei, jedoch hätten normale Publikumsverlage oft nicht die Zeit und das Budget, sich so intensiv mit der Gestaltung einer Ausgabe zu befassen. Die Illustratoren der Büchergilde sind nicht fest angestellt. Viele arbeiten zusätzlich noch fest als Grafikdesigner, wie beispielsweise Franziska Neubert. Entscheidet sich die Herstellungsabteilung für einen Künstler, so bekommt dieser ein Briefing mit Hinweisen und Vorgaben hinsichtlich Typografie, Satz sowie eine kurze Inhaltsangabe mit Schlagwörtern, die den Einstieg in das Buch erleichtern sollen. Nach drei Wochen gilt es nun, drei Entwürfe für die Covergestaltung vorzulegen, mit der einzigen Bedingung, eine grafische Lösung zu finden. Fotografien sucht man auf den Publikationen der Büchergilde vergeblich. Die Arbeit geschieht meistens digital, aber gelegentlich kommt auch noch der echte Pinsel zum Einsatz wie eben bei den Ölgemälden für Ferrante, angefertigt von Franziska Neubert. Die endgültige Entscheidung über ein Cover geschieht dann im Konsens mit der Künstlerin, der Herstellungsabteilung und dem Lektorat der Büchergilde. Doch auch verworfene Entwürfe sind nicht verloren, oft werden sie als Kleingrafik gerahmt und verkauft. Was aber ist nun ein Buchcover? Ist es Marketing? Oder trägt es doch mehr zum Leseerlebnis bei? Silke Müller beantwortet beides entschieden mit Ja. „Natürlich zieht ein gutes Cover die Aufmerksamkeit auf sich und regt zum Kauf an, aber mich begleitet es auch beim Lesen. Da halte ich inne und schlage das Buch zu und das Cover gibt mir noch eine ganz andere Idee von der Geschichte, die ich gerade vor Augen habe.“
Ein weiteres Schmankerl für Freunde schöner Bücher sind zudem die illustrierten Ausgaben der Büchergilde. In der sogenannten Sitzung: Illustriertes Buch kommen ganz unterschiedliche Abteilungen des Verlags zusammen und entscheiden über den Titel, der es werden soll. Durch die Mitgliederstruktur der Büchergilde ist ein sicherer Umsatz vorhersehbar und macht solche aufwendigen Projekte mit mehr als einem halben Jahr Vorlaufzeit überhaupt möglich. Und dieser Aufwand ist mit jeder Seite erlebbar, wie bei Der talentierte Mr. Ripley. „Meine Illustrationen sind anaglyphische 3D-Bilder. Der zweischneidige Charakter von Tom Ripley und die teilweise verzerrte, schon groteske Sicht auf die Welt durch dessen Augen brachten mich zu meinen Illustrationen und dieser Technik“, sagt die Künstlerin Alexandra Rügler. Ein anderes Mal hat sich die Büchergilde gleich drei Illustratoren gegönnt, um einen Sammelband von Michael Kohlhaas-Geschichten zu bebildern. Ursprünglich sollten die Bilder zum Text wohl den Zugang zu Literatur erleichtern und so den Bildungsauftrag im Sinne der Büchergilde erfüllen. Heute sind diese wertigen und wunderschönen Ausgaben aber besonders bei Liebhabern begehrt. Zum Abschluss stellt Silke Müller mit Arthur Millers Fokus noch das neuste Kleinod des Verlags vor. Hier hat sich der Prozess besonders langwierig gestaltet, da die Erben des Autors darauf bestanden, jede einzelne Grafik abzusegnen, was sie schlussendlich auch taten. Franziska Neubert wandte hier die besondere Technik der „verlorenen Form“ an, bei der jeden Tag nur eine Farbe gedruckt werden kann und der entsprechende Teil anschließend von der Druckplatte weggeschnitten wird, wodurch die Fertigstellung einer Grafik bis zu 25 Tage dauert und was den Prozess unwiederholbar macht. Nach der Lesung eines eindrucksvollen Kapitels von Millers einzigem Roman, schließt Silke Müller ihren Vortrag, nimmt sich noch ein Buch zur Hand und streicht über den leinenen Einband: „Für mich jedenfalls ist das Lesen eines illustrierten Buches immer ein bereicherndes und aufregendes Abenteuer. Und so eine Haptik finden Sie beim E-Book ganz sicher nicht.“
Vielen Dank an das Landesmuseum Mainz für die Organisation des literarischen Winterprogramms „Es blaut die Nacht“ sowie natürlich an Frau Müller für diesen wunderbaren Vortrag.
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