Man liest ein Buch. Ein Mal, zwei Mal, hundert Mal. Verschlingt es, saugt es in sich auf, bis man zum Teil der Geschichte wird und sich darin bewegen kann, als hätte man selbst alle Schauplätze, Ereignisse und Charaktere besucht. Und dann klappt man das Buch zu und schwelgt immer noch in diesem wundervollen Zwischenstadium der Buchdeckel. Doch warum nicht einfach hinreisen, zu den Orten, in die Zeit? Warum soll das nicht möglich sein, hier in Mainz den Fuß über die Schwelle zu setzen und ganz in die Geschichte einzutauchen. Das Lyriklabor macht’s möglich und hat sich mit Michail Bulgakows „Meister und Margarita“ nicht gerade den leichtesten Stoff ausgesucht.
„Im Prinzip wollen wir Texte jeglicher Art erlebbar machen und Leute dazu anregen, sich damit auf unterschiedliche Weise auseinanderzusetzen“, sagt Kerstin Rüther, Mitgründerin des Lyriklabors. Gefunden hat sich die Gruppe im Jahr 2011, als sie gemeinsam ein studentisches Projekt zur „Stadt der Wissenschaft Mainz“ erstellten. Dabei konnten Besucher in den Abendstunden durch Rauminstallationen von elf klassischen deutschen Gedichten gehen und interaktiv das Erlebnis mitgestalten. Das hat den Studenten solchen Spaß gemacht, dass sie ihre Arbeit fortsetzten, sich Traumvorstellungen und Shakespeare hingaben und schließlich seit einigen Jahren als Verein die Literaturszene in Mainz bereichern. Die Gruppe ist bunt gemischt, es gibt viele Germanisten, aber auch Grafikdesigner oder Architekten und jeder bringt sein eigenes interdisziplinäres Feld in die Organisation der Projekte mit ein. Begeistert erzählen Kerstin und Tina von nächtelangem Aufbau, Ideen in letzter Sekunde und dem eigenen Staunen, immer wieder durch die Ausstellungen zu gehen und doch jedes Mal etwas Neues zu entdecken.
Jetzt soll es also ein Roman sein, ein Meisterwerk, „Meister und Margarita“. Und damit strebt das Lyriklabor nach neuen Ebenen. Die Idee kam von einer Vorlesegruppe innerhalb des Lyriklabors, bei dem dieser Text besprochen wurde. „Eigentlich sind wir ja speziell das Lyriklabor, aber wir haben beschlossen, uns selbst die Grenzen nicht so eng zu stecken“, sagt Tina Rotzal. „Im Grunde machen wir einfach das, worauf wir gerade am meisten Lust haben“. Und an der liebevollen Ausarbeitung jedes einzelnen Projekts merkt man die absolute Hingabe der Lyriklaboranten. „Moskau liegt am Rhein“, das ist die Prämisse dieses Panoptikons und deshalb holen sie die Schauplätze des Romans auch direkt in die Altstadt rund um den Hopfengarten. In sechs Lokalen, Privat- und Geschäftsräumen, wie etwa dem Weinhaus Michel oder die Gute Stube, werden szenische Lesungen von Textausschnitten abgehalten. Unchronologisch gehen die Besucher in die verschiedenen Räumlichkeiten und streifen durch den Roman. Mal gibt es dazu noch Musik, ein anderes Mal wird plötzlich getanzt in den hinteren Reihen, aber immer stehen der Meister und dieses unvergleichliche Kultbuch im Vordergrund. „Wir sind den Text nun schon so oft durchgegangen, aber immer wieder entdecken wir Neues“, sagt Kerstin, „Wir verlieben und immer ein bisschen in unsere Bücher“. Und das merkt man absolut.
Ich unterhalte mich noch viel länger mit Kerstin und Tina, als dieser kurze Artikel zeigen könnte und wir sprechen über Bücher, Literatur und das Schreiben in unterschiedlichsten Kontexten. Die Augen leuchten, es werden stolz Programmhefte gezeigt und in Erinnerungen geschwelgt. Dem Lyriklabor liegt der Text am Herzen und das ist etwas sehr, sehr Schönes.
Das literarische Panoptikon zu Bulgakows „Meister und Margarita“ findet am 9. April um 17 Uhr statt. Karten gibt es in der Guten Stube, Hopfengarten 10, und kosten 10 Euro, ermäßigt 7 Euro. Geht da einfach hin 🙂