In diesem Raum voller Frauen wird viel Kaffee getrunken, geschwatzt, sich unterhalten über die neuesten Trends und Hobbys. In diesem Raum voller Frauen sieht man fingerkurze Ponys, Cord-Latzkleider und Frida Kahlo-Tattoos. In diesem Raum voller Frauen wird Kuchen gegessen, zugehört und applaudiert. Wir befinden uns auf einer Lesung über Simone de Beauvoir und es ist voll bis auf den letzten Stehplatz im Café Barisatz in Mainz. Die offene Tür lässt den kühlen Oktoberwind hinein und gibt den Blick frei auf noch mehr Gesichter, noch mehr interessierte junge und alte Frauen, die sich für Beauvoir begeistern oder für Feminismus oder Kaffee und Kuchen mit Lesungsbeigabe.
Vorne sitzt die Journalistin und Autorin Julia Korbik etwas erhöht an einem Cafétisch und grinst in die Menge. Sie tippt auf ihrem Handy, macht ein paar Bilder und stützt entspannt den Kopf in die Hand. Eine Dame aus der ersten Reihe erhebt sich, stellt sich als Vertreterin des Frauenbüros vor und dann die Autorin. Nicht nur sei in diesem Jahr das hundertjährige Jubiläum des Frauenwahlrechts (Applaus), sondern auch der einhundertzehnte Geburtstag von Simone de Beauvoir falle in 2018 (wieder Applaus). Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Und deshalb freue man sich besonders auf diese Lesung an diesem so symbolischen Ort eines Cafés, da die Protagonistin des Abends selbst gerne in Pariser Cafés geschrieben und gedacht hatte. Der zauberhafte Rahmen ist also schon mal gegeben, fehlt nur noch eine spannende Lektüre.
Korbik gelingt der Spagat zwischen Information, Unterhaltsamkeit und Aussagekraft spielend und führt charmant, doch nachdrücklich durch den Abend. Sie beginnt mit einer Stelle aus ihrem Buch, die die Kindheit Beauvoirs beleuchtet: die streng katholische Mutter, der flegelhafte Vater. Die Beziehung zu ihrer Schwester Hélène oder die intellektuelle Unterforderung in der Klosterschule, das Brechen mit dem Glauben. Immer wieder lässt Korbik Beauvoir dabei selbst zu Wort kommen, sei es in Briefen, Tagebucheintragungen oder ihren Romanen. Als sie zur Begegnung mit Jean-Paul Sartre kommt, geht ein Kichern durch die Reihen, so war doch dieser nur ihre zweite Wahl gewesen, weshalb sie zum ersten Date auch ihre jüngere Schwester geschickt hatte. Woran sie ihn erkenne? Er sei der Hässlichste im ganzen Raum. Zusammen fanden sie bekanntlich dennoch, Sartre sollte schließlich einer ihrer größten Unterstützer werden. Korbik erzählt an dieser Stelle ausgiebig von Beauvoirs Leben als Schriftstellerin, von ihren Ambitionen und Fehlversuchen und schließt mit ihrem bahnbrechenden Werk Le Deuxième Sexe von 1949. Es wird deutlich, dass es nicht nur die feministischen Ansichten Beauvoirs sind, die Korbik den Zuschauern auf den Weg mitgeben will, sondern vielmehr auch einen Einblick in ihr selbstbestimmtes Leben, ihr fortschrittliches Denken und die Brandaktualität ihrer Texte.
Zum Abschluss geht Julia Korbik auf ihre ganz eigene Begegnung mit Beauvoir ein, wie sie sie damals, mit achtzehn, googlete und dabei gleich das Schlagwort ‚Feministin‘ angeboten bekam und einfach dachte: „Cool, das will ich auch sein“. Sie schmunzelt. Das ist sie nun auch, eine Feministin, und was für eine. Zu diesem Thema ist die Dreißigjährige gern gesehener Gast auf Talks und Podien, sie moderiert, kuratiert und schreibt, natürlich, unter anderem für ze.tt, Libertine oder This is Jane Wayne. Ihr Debüt Stand Up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene (2014) wurde von der Kritik hochgelobt und für Oh, Simone wird sie im November mit dem Luise Büchner-Preis für Publizistik ausgezeichnet.
Wer mehr über Julia Korbik erfahren möchte, kann sich hier auf ihrer Internetseite umschauen, mehr zu Beauvoir gibt es auf ihrem Blog Oh, Simone!.
Oh, Simone!
Rowohlt Taschenbuch
320 Seiten
ISBN: 9783499633232